Informationen zu „Anderen Leistungsanbietern“ als Alternative zu Werkstätten für behinderte Menschen
Inhalte dieses Bereichs:
- „Andere Leistungsanbieter“: Mehr Wahlmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung
- Neue gesetzliche Rahmenbedingungen als Folge erfolgreicher Interessenvertretung
- Informationen zur Umsetzung in der Praxis
- Fachliche Informationen und Hinweise der zuständigen Leistungsträger
- Kurzgutachten „Zulässige Vertragsinhalte“
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Personalschlüssel für Leistungen ausschließlich in betrieblicher Form
„Andere Leistungsanbieter“: Mehr Wahlmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung
Mit dem Bundesteilhabegesetz (im Folgenden: BTHG) sind mit den „Anderen Leistungsanbietern“ erweiterte Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Leistungserbringern für Menschen mit Behinderungen entstanden, die einen Anspruch auf Leistungen einer Werkstatt für behinderte Menschen (im Folgenden: WfbM) haben. Gesetzliche Grundlagen dafür sind der §§ 60, 111 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX und § 140 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII. Hier haben sich die langjährige Interessenvertretung der BAG UB im kooperativen Netzwerk der bundesdeutschen Behindertenhilfe sowie die Erarbeitung und Dokumentation von innovativen Leistungsangeboten und Best Practise-Beispielen engagierter Leistungsanbieter - auch Mitglieder der BAG UB – Im Sinne des Wunsch- und Wahlrechts positiv ausgewirkt!
Bisher waren im Wesentlichen nur die WfbM berechtigt, entsprechende Leistungen beruflicher Bildung und Beschäftigung anzubieten (zu den Ausnahmen siehe unten). Seit Januar 2018 können auch andere Leistungsanbieter nach § 60 SGB IX Werkstatt-Leistungen anbieten. Sie können dabei z.B. den Fokus auf den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt sowie die begleitete Beschäftigung auf so genannten Außenarbeitsplätzen (oder betriebsintegrierte Arbeitsplätze) in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes legen. Darüber hinaus kann der Übergang in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung unterstützt werden – sowohl über das Budget für Arbeit (§ 61 SGB IX; innerhalb des Werkstattstatus, ohne Arbeitslosenversicherung) als auch im Rahmen einer vollumfänglichen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung (außerhalb des Werkstattstatus). Der Gesetzgeber will mit den anderen Anbietern bessere Voraussetzungen schaffen, um Menschen mit Behinderungen auf dem Weg in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu unterstützen und Alternativen zur Beschäftigung in einer WfbM fördern.
Das bedeutet: Wenn Menschen mit Behinderungen ein Recht auf einen Werkstattplatz haben, müssen sie nicht mehr zwingend eine WfbM besuchen. Sie können seit 2018 auch bei anderen Leistungsanbietern gemäß § 60 Abs. 1 SGB IX folgende Angebote nutzen:
- Leistungen im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich nach § 57 SGB IX
- Leistungen im Arbeitsbereich einer WfbM nach § 58 SGB IX
Um als andere Leistungsanbieter anerkannt zu werden, müssen die Leistungsanbieter im Wesentlichen die Vorgaben der Werkstattverordnung erfüllen. Zugleich wurden dabei einige Ausnahmen festgelegt, um die z.T. unterschiedlichen Voraussetzungen von anderen Leistungsanbietern und Werkstätten für behinderte Menschen zu berücksichtigen. Weitere Informationen dazu finden Sie unten im Abschnitt „Informationen zur Umsetzung in der Praxis“.
In der Gesetzesbegründung zum BTHG steht mit Hinweis auf die Ausnahmeregelungen:
„Damit sollen auch kleinere Leistungsanbieter sowie solche, die Maßnahmen der beruflichen Bildung oder eine Beschäftigung nicht in eigenen Räumlichkeiten anbieten, sondern solche Maßnahmen auf Plätzen in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes in der Form von ‚ausgelagerten Bildungs- und Arbeitsplätzen‘ durchführen, als andere Leistungsanbieter nicht ausgeschlossen sein.“
Neue gesetzliche Rahmenbedingungen als Folge erfolgreicher Interessenvertretung
Für uns als BAG UB stellt die Aufnahme anderer Leistungsanbieter in das BTHG einen großen Erfolg unserer langjährigen Interessenvertretung in Zusammenarbeit mit den Spitzenverbänden der Behindertenhilfe dar. Auch die Vorreiterrolle vieler Mitglieder der BAG UB in der Umsetzungspraxis hat einen wichtigen Teil zu dieser Entwicklung beigetragen: Viele unserer Mitglieder haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in der Praxis als „sonstige Beschäftigungsstätten“ (nach § 56 SGB XII alte Fassung) innovative regionale Leistungsangebote auf den Weg gebracht, die werkstattberechtigten Personen individuelle Wege auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglicht haben. Gemeinsam mit diesen Leistungsanbietern haben wir als Interessenvertretung von Menschen mit Behinderung und ihren Unterstützer_innen aufgezeigt, dass diese neuen Lösungen praktisch möglich, für die betreffenden Personen sinnvoll und individuell bedeutsam und nicht zuletzt im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention von hoher Relevanz sind.
Eine zentrale Forderung bestand in den vergangenen Jahren in diesem Zusammenhang insbesondere darin, Nutzer_innen der „Sonstigen Beschäftigungsstätten“ sozialversicherungsrechtlich mit Personen gleichzustellen, die in einer WfbM beschäftigt sind. Mit den „anderen Leistungsanbietern“ sind nun auch Arbeitsmöglichkeiten außerhalb von WfbM bei anderen Leistungsanbietern wie WfbM-Leistungen sozialversicherungsrechtlich abgesichert.
Informationen zur Umsetzung in der Praxis
Andere Leistungsanbieter können in Abstimmung mit dem Leistungsträger seit dem 01.01.2018 Angebote für Menschen mit Behinderungen unterbreiten. Zuvor muss eine Leistungsvereinbarung gem. § 123ff. SGB IX mit dem zuständigen Leistungsträger abgeschlossen werden.
Für Personen mit einem Anspruch auf Leistungen einer Werkstatt für behinderte Menschen bedeutet dies, dass sie seit Januar 2018 einen regionalen anderen Leistungsanbieter wählen können. Diese Wahlmöglichkeit bezogen auf den Anbieter betrifft den Eingangs- und Berufsbildungsbereich sowie den Arbeitsbereich einer WfbM.
Trotz eindeutigem Gesetzesauftrag mit den anderen Leistungsanbietern Wahlmöglichkeiten zur WfbM zu schaffen, bedarf es jedoch sicher noch einige Zeit, bis flächendeckend und in jeder Region ein Angebot „andere Leistungsanbieter“ aufgebaut ist und den Werkstattberechtigten als Alternativangebot zur Verfügung steht. Eine fortlaufend aktualisierte Übersicht dazu finden Sie bei REHADAT.
Um als andere Leistungsanbieter zugelassen zu werden, müssen die Leistungsanbieter im Wesentlichen die Vorgaben der Werkstattverordnung erfüllen. Zugleich wurden dabei einige Ausnahmen festgelegt (§ 60 Abs. 2 SGB IX), um die z.T. sehr unterschiedlichen Voraussetzungen von anderen Leistungsanbietern und Werkstätten für behinderte Menschen zu berücksichtigen. So soll einer größeren Anzahl an Einrichtungen die Zulassung als andere Leistungsanbietern ermöglicht werden.
Das bedeutet, dass andere Leistungsanbieter zwar keine WfbM sind, aber vergleichbare Merkmale vorweisen müssen. Es ist jedoch unter anderem
- keine förmliche Anerkennung notwendig
- keine besondere Anforderung an die räumliche und sächliche Ausstattung zu erfüllen
- keine Mindestplatzzahl oder Aufnahmeverpflichtung zu beachten
- eine Beschränkung des Angebots auf (Teil-)Leistungen nach § 57 oder § 58 SGB IX möglich.
Die vollständige Übersicht aller Ausnahmen von den Regelungen der Werkstattempfehlungen für andere Leistungsanbieter finden Sie unter § 60 Abs. 2 SGB IX. Leider gilt nach Abs. 2 Nr. 7 auch, dass "Regelungen zur Anrechnung von Aufträgen auf die Ausgleichsabgabe und zur bevorzugten Vergabe von Aufträgen durch die öffentliche Hand nicht anzuwenden sind". Andere Leistungsanbieter sind somit in dieser Hinsicht gegenüber WfbM benachteiligt, zumal diese Regelung ursprünglich nicht gesetzlich verankert wurde.
Fachliche Informationen und Hinweise der zuständigen Leistungsträger
Die Bundesagentur für Arbeit und die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (BAGüS) haben als jeweils zuständige Leistungsträger fachliche Hinweise für die neuen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erarbeitet, die die anderen Leistungsanbieter beachten müssen.
Die Bundesagentur für Arbeit hat ein „Fachkonzept für Eingangsverfahren / Berufsbildungsbereich bei anderen Leistungsanbietern“ erstellt (Stand: Januar 2020). Mit diesem Fachkonzept fasst der Leistungsträger die gesetzlichen und fachlichen Anforderungen an andere Leistungsanbieter zusammen und bestimmt sie genauer, um eine einheitliche Anwendung und Qualität der Leistungsausführung zu gewährleisten.
Download Anlage zum Fachkonzept für Eingangsverfahren/Berufsbildungsbereich bei anderen Leistungsanbietern: Eckpunkte zum Eingliederungsplan nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX, § 3 Abs. 1 WVO
Die BAGüS hat eine "Orientierungshilfe zu den (neuen) Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ab 01.01.2018" veröffentlicht. Sie beinhaltet u.a. Hinweise zur Umsetzung der neuen Regelungen für die anderen Leistungsanbieter.
Download der Orientierungshilfe.
Die BAGüS hat zudem die Werkstattempfehlungen 2021 neu herausgegeben: Die aktualisierten BAGüS-Werkstattempfehlungen - Stand 1. März 2021 - sind ab sofort verfügbar. Das beliebte und in der Fachwelt anerkannte Nachschlagewerk wurde umfassend bearbeitet und an die Rechtslage zur Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen nach dem Bundesteilhabegesetz angepasst. Neben vielen Fragen rund um das Thema „Werkstatt für behinderte Menschen“ berücksichtigen die neuen Empfehlungen auch das „Budget für Arbeit“ (§ 61 SGB IX), das „Budget für Ausbildung“ (§ 61a SGB IX) und „andere Leistungsanbieter“ (§ 60 SGB IX). Die BAGüS-Werkstattempfehlungen 2021 sind ausschließlich als Druckausgabe gegen eine Schutzgebühr von 15 Euro (einschließlich Versandkosten) erhältlich.
Bestellung der BAGüS Werkstattempfehlungen 2021.
Nähere Informationen zum Fachkonzept der Bundesagentur für Arbeit sowie zur Orientierungshilfe der BAGüS hat der Paritätische Gesamtverband auf seiner Website zusammengefasst:
Kurzgutachten „Zulässige Vertragsinhalte“
Die Orientierungshilfe der BAGüS (siehe oben) benennt die Anforderung an andere Leistungsanbieter konzeptionell nachzuweisen, dass „die Maßnahmen geeignet sind, das Ziel der UN-BRK (den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, Anmerkung der BAG UB) nicht nur anzustreben sondern mittelbar auch zu erreichen.“ (s. Punkt 2.1.2., zweiter Absatz) Die entsprechenden Nachweise sollen nach Maßgabe der BAGüS in die Rahmenverträge aufgenommen werden.
Dieser Passus wird von Verbänden der Behindertenhilfe als nicht rechtskonform kritisiert, weil die Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben durch andere Leistungsanbieter eingeschränkt wird, obwohl für eine solche Einschränkung keine gesetzlichen Grundlagen bestehen. In diesem Zusammenhang hat der Evangelische Fachverband für Arbeit und soziale Integration e. V. (EFAS), die Bundesarbeitsgemeinschaft Arbeit e.V. (bag arbeit) und die Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft Integration durch Arbeit (IDA) ein Kurzgutachten zu zulässigen Vertragsinhalten in Rahmenvereinbarungen nach § 79 SGB XII und § 131 SGB IX veröffentlicht.
Das entsprechende Gutachten von Prof. Dr. Jan Kepert (Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl) kommt zu dem Schluss, dass eine Einschränkung der Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 140 SGB XII bzw. nach 49 ff. SGB IX mittels eines Rahmenvertrages nicht zulässig ist. Der Paritätische Gesamtverband fasst auf seiner Website zusammen: „Die Regeln für andere Leistungsanbieter sind im § 60 SGB IX abschließend formuliert. Alle darüber hinausgehenden Anforderungen sind demnach nicht gesetzeskonform.“
Wenn Sie als anderer Leistungsanbieter Leistungen der Eingliederungshilfe erbringen möchten, kann das Kurzgutachten hilfreich sein, um sich auf Gespräche und Verhandlungen mit dem Sozialhilfeträger vorzubereiten. Das Gutachten können Sie hier herunterladen: https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Schwerpunkte/Bundesteilhabegesetz/doc/attjwhwo.pdf oder direkt hier
Personalschlüssel für Leistungen ausschließlich in betrieblicher Form
Die BAG UB setzte sich dafür ein, dass der Personalschlüssel bei anderen Leistungsanbietern, die betriebliche Angebote vorhalten, verbessert wird. Dies entspricht auch der Praxis der Vorgängermodelle wie Hamburger Arbeitsassistenz sowie vielen anderen unserer Mitglieder und ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Ein individuelles Jobcoaching bzw. eine individuelle Unterstützung am Berufsbildungs- und Arbeitsplatz bzw. im Betrieb benötigt im Sinne der Ziele "passgenaue Berufsbildung und Beschäftigung" sowie "Übergang in Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes" und "langfristige Arbeitsplatzsicherung" ausreichende personelle Ressourcen beim begleitenden Fachdienst.
Der verbesserte Personalschlüssel von 1:4 (statt 1:6 im Berufsbildungsbereich und 1:12 im Arbeitsbereich) gilt dann, wenn Leistungen ausschließlich in betrieblicher Form erbracht werden. In § 60 Absatz 2 Nr. 8 heißt es ab 1.1.2020:
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erbringen sie (Hinweis: die anderen Leistungsanbieter) Leistungen nach den §§ 57 oder 58 ausschließlich in betrieblicher Form, soll ein besserer als der in § 9 Absatz 3 der Werkstättenverordnung für den Berufsbildungsbereich oder für den Arbeitsbereich in einer Werkstatt für behinderte Menschen festgelegte Personalschlüssel angewendet werden.
Aus der Gesetzesbegründung:
Über § 60 Absatz 2 SGB IX gilt für andere Leistungsanbieter auch § 9 Absatz 3 Werkstättenverordnung, der für die Zahl der Fachkräfte zur Arbeits- und Berufsförderung ein Zahlenverhältnis von 1:6 im Berufsbildungsbereich und 1:12 im Arbeitsbereich als Sollvorschrift vorsieht. Dieser Personalschlüssel ist ein seit dem Inkrafttreten der Werkstättenverordnung im Jahre 1980 bestehender „Gruppenschlüssel“, also ein Schlüssel für die stationäre Betreuung in der Werkstatt für behinderte Menschen. Bisherige Erfahrungen in der Praxis zeigen, dass andere Leistungsanbieter, die Leistungen zur beruflichen Bildung und Leistungen zur Beschäftigung ausschließlich auf betriebsintegrierten Plätzen in Betrieben und Verwaltungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erbringen wollen, mit einem solchen Personalschlüssel die notwendige individuelle Betreuung der Menschen mit Behinderungen nur schwer gewährleisten können. Um solche ambulanten Leistungen der beruflichen Bildung und der Beschäftigung außerhalb von Werkstätten für behinderte Menschen auch künftig zu ermöglichen und solche Leistungsanbieter gegenüber den Leistungsanbietern, die solche Maßnahmen in eigenen Räumlichkeiten und damit stationär in Gruppen durchführen nicht zu benachteiligen, soll zwischen den Leistungserbringern und den Leistungsträgern ein besserer Personalschlüssel (z.B. 1:4 anstatt 1:6) vereinbart werden. Dies ist nicht zuletzt deshalb angemessen, weil der Leistungsträger bei den Leistungen in ausschließlich betrieblicher Form Kostenanteile in den Vergütungen einspart, die im Rahmen einer stationären Leistungserbringung anfallen würden (zum Beispiel Aufwendungen für Räumlichkeiten).
Die Bundesagentur für Arbeit hat daraufhin ihre Fachliche Anweisung für andere Leistungsanbieter ergänzt: https://www.arbeitsagentur.de/datei/dok_ba016011.pdf
Weitere Informationen
Auf der Website des Paritätischen Gesamtverbands finden Sie außerdem Informationen zur länderspezifischen Umsetzung:
Informationen zu „Anderen Leistungsanbietern“ finden Sie auch im Projekt „Umsetzungsbegleitung BTHG des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge: